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Jogi hat sich verzockt oder die überirdischen Gründe einer Niederlage


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Nun ist es spätestens seit El Padrino quasi Allgemeingut, dass Italiener die besseren Zocker seien. Und auch die italienische Mannschaft läuft ja regelmässig dann zu Höchstform auf, wenn ihr Fussballsystem von einem veritablen Korruptionsskandal gebeutelt wird. Zuletzt wurde sie – als Spielverderber des Sommermärchens – 2006 in einer vergleichbaren Situation Weltmeister. Es gibt also übergeordnete Zusammenhänge im Fussball, die es zu beachten gilt. Nicht umsonst ist „Magier“ Jogi Löw, noch bevor er sich ans Zocken bei der Mannschaftsaufstellung machte, ja auch der Versuchung unterlegen, sich als Weissager profilieren zu wollen beziehungsweise sich in einer vergleichbaren Pose ablichten zu lassen. Wer den Schaden hat…

Doch bevor wir weiter in esoterischen Zusammenhängen forschen, sollten wir die irdischen Fakten beleuchten:

Den besten Gedanken für eine profane Deutung des deutschen Debakels im Halbfinale von Warschau lieferte ausgerechnet der sehr erdverbundene Miroslav „Air“ Klose: Auf die Frage eines Journalisten, ob der Korruptionsskandal der italienischen Mannschaft schaden könne, hatte er sinngemäss geantwortet, dass die Deutschen eher diejenigen seien, die immer der Obrigkeit vertrauten, während die familienverbundenen Italiener in einer solchen Situation als Mannschaft eher zusammenrücken würden. Damit hat er indirekt die Dynamik angesprochen, die es in einem solchen Turnier gibt: Die letztlich erfolgreiche Mannschaft wächst zusammen. Deutschland hatte aufgrund dieser Charakteristik bis heute den Ruf, eine Turniermannschaft zu sein, sogar in Zeiten der Rumpelfussballer konnten sie, mit diversen Sekundärtugenden ausgestattet, fehlende fussballerische Klasse kompensieren. Bis der Prozess des Teambuildings (der ersten 11) abgeschlossen ist, sind Wechsel erlaubt, aber spätestens im Halbfinale eines solchen Turniers wird die Luft so dünn, dass man sich keine Fehler mehr erlauben darf. Dieser Prozess schien mit dem Viertelfinalspiel gegen Griechenland abgeschlossen zu sein. Die jungen kreativen Wilden Reus und Schürrle durften auf den Aussenpositionen den technisch versierten Tempofussball bieten, für den Löws Multi-Kulti-Truppe in den vergangenen zwei Jahren stand. „Die eigenen Stärken in den Vordergrund stellen“ und „sich nicht das Spiel des Gegners aufzwingen lassen“, lautete die Devise, die nach ordentlichem, aber vergleichbar mit den Möglichkeiten dieser Mannschaft doch eher durchwachsenem Beginn und mit eher statisch agierenden Spielern wie Podolski und Gomez korrigiert wurde. Nach dem Dänemarkspiel war der Gedanke kursiert, dass eine Hereinnahme von Klose, Reus und Co. der deutschen Mannschaft wieder zu dem Spiel zurück verhelfen würde, das ihr so grossen Respekt in der Rundlederwelt eingebracht hatte. Löw hatte gelernt. Hatte er?

Und führe mich nicht in Versuchung

Jogi verriet, als er der Versuchung erlag, seine eigenen Prinzipien. Hatte er urplötzlich Angst vor der eigenen Courage bekommen, so kurz vor dem Ziel? Oder war es die Eitelkeit eines sich mittlerweile unfehlbar wähnenden Magiers, der glaubte, sein Personal beliebig auswechseln zu können? Oder war es nur klassischer Fall von „Übercoaching“? 2006 war der Unterschied zwischen Sieg und Niederlage geringer als diesmal. Die italienische Mannschaft spielte taktisch clever und technisch versiert wie immer, während der deutschen Mannschaft mit einem Tag Pause weniger noch die Verlängerung gegen Argentinien in den Knochen steckte. Am Schluss fehlte das berühmte Prozent, als ein tödlicher Pass von Pirlo in die Schnittstelle der Abwehr verhinderte, dass sich die auf dem Zahnfleisch laufende deutsche Mannschaft ins Elfmeterschiessen würde retten können. Sechs Jahre später bei der vermeintlichen Revanche wirkte die deutsche Mannschaft seltsam verunsichert. Hatte man sich zu sehr mit dem Maulwurf im Trainingscamp beschäftigt, anstelle die eigenen Stärken zu betonen? Als ich die Mannschaftsaufstellung sah, ahnte ich, das wird heute nichts. Als ich die Italiener beim Singen der Nationalhymne sah, bekam ich die Bestätigung geliefert. Der Rest war Formsache.

Trotzdem wäre es natürlich übertrieben, den Bundestrainer jetzt in typisch deutscher Aufgeregtheit aus dem La(e)nd(le) jagen zu wollen. Er hat nach einer grossen Entwicklungsleistung in Sachen Qualität des deutschen Fussballs bei einem Turnier einen etwas zu grossen Fehler begangen, um auf diesem Niveau erfolgreich zu sein. Er mag sich damit trösten, dass grössere Zusammenhänge dennoch eine Rolle spielen, auch wenn ihm die Lust, sich als Magier betätigen zu wollen, für die Zukunft vergangen sein dürfte:

Beweis gefällig? Deutsche Fussballsiege bei grossen Turnieren sind bisher immer von wichtigen politischen Ereignissen begleitet worden:

– Das Wunder von Bern 1954: „Wir sind wieder wer…“
– WM-Sieg 1974 in Deutschland: Rücktritt Willy Brandt’s, der den Anfang vom Ende der sozialliberalen Koalition darstellte, die dann zeitverzögert 1982 ihren Geist aufgab und von der so genannten „geistig moralischen Wende“ (in Fussballsprache übersetzt heisst das: „die Zeit der Rumpelfussballer“) abgelöst wurde.
– Weltmeister bei Italia 90: Wiedervereinigung („Wir sind wieder wer, part II“)

Die alles entscheidende Frage lautet nun: Was wäre geschehen, wenn sich Angie Merkel parallel zum Halbfinale auf dem €-Rettungsgipfel gegen Monti und Rajoy durchgesetzt hätte? Würden dann auch Italien und Spanien im Finale stehen? Das weiss nur: El Fantasma del Pulpo Paul…